14. November 2019

Gewohnheiten





 Die Menschen verzichten nicht auf ihre Gewohnheiten, 
es ist das einzig Beständige im Leben 
das keiner Anstrengung bedarf. 
(Khalid Chergui)









Gewohnheiten sind etwas, das sich einschleicht. 

Kaum einer beschließt bewusst,  „ab morgen trinke ich jeden Morgen eine Tasse Kaffee. Kaffeekonsum soll zu meiner Gewohnheit werden.“ Oder: "Ab sofort begrenze ich meinen Wortschatz auf ein Notwendigstes und grüße meine Kollegen (und zwar alle) jeden Mittag nur noch mit "Mahlzeit!"."

Gewohnheiten erleichtern das Leben einerseits und sorgen für einen reibungslosen Ablauf, andererseits werden sie schnell zu etwas, dessen Fehlen oder dessen spontane Nichterfüllung zu Ausnahmezuständen und Ängsten führen kann. 
Ob das nun das morgendliche Zeitunglesen auf der Toilette ist, die Zigarette nach dem Sex, das Kuchen essen sonntags, oder die Hunderunde um 16 Uhr; wenn mal was dazwischen kommt, gerät der Tag aus den Fugen und man wird plötzlich mit etwas konfrontiert, das man durch die ganzen Gewohnheiten minimiert hat. Die Entscheidungsfreiheit.
Die Möglichkeit, bewusst eine Entscheidung zu treffen.

Man muss sich plötzlich Gedanken darüber machen, welche anderen Getränke außer Kaffee es noch gibt, die einem morgens munden könnten. Oder ob man die Zeit auf dem Pott mit etwas anderem füllen könnte, als mit der Zeitung....vielleicht mit Meditieren?
Ob man vielleicht mit seinem Partner redet, anstatt sich eine Fluppe rein zu ziehen, oder man stellt plötzlich fest, dass der Hund nicht stirbt, wenn er um 16:30 raus kommt und man sogar vielleicht ganz anderen Menschen begegnet.
Das alles kann Angst machen, denn es ist etwas Neues und die Konfrontation mit Neuem macht umso mehr Angst, je mehr man in seinen Gewohnheiten fest steckt.

Gewohnheiten geben das Gefühl von Sicherheit, 

von Daheimsein, von Kontrolle über den Ablauf des eigenen Lebens. Gewohnheiten sind aber recht hinterlistige Gesellen. Denn auf der einen Seite Kontrolle vorheuchelnd, übernehmen sie diese mehr und mehr und der Eigentümer den Lebens wird nach und nach zunehmend bevormundet. Wenn sich Gewohnheit an Gewohnheit reiht, ist die Kontrolle komplett verloren.

Den Mensch zeichnet aus, dass er mit seinem Geist Möglichkeiten abwägen kann, bedenken kann, was für ihn gut und was schlecht ist und somit Entscheidungen für sich und seine nähere Umwelt treffen kann, die im Idealfall danach ausgerichtet sind, allen Gutes zu bringen.

 

Beispielhafter Tagesablauf ohne Kontrolle: 

(Gewohnheit im Folgenden als G abgekürzt)
G1:Der Wecker klingelt und wird noch zwei mal um fünf Minuten verlängert ("ich drück dann immer noch zwei mal Snoooze, dann muss ich aber wirklich aufstehen")
G2: Ein Kaffee wird getrunken ("ohne meinen Kaffee bin ich nur ein halber Mensch")
G3: Die Morgentoilette folgt
G4: Badaktivitäten werden abgehalten
G5: Frühstück: Zwei Scheiben Brot, mit Käse, geht schnell
G6: Noch eene rauchen (zur vermeintlichen Stressreduzierung) „und dann muss ich los“
G7: Selbe Zeit, selbe Route, ab zur Arbeit
G8. Auf Arbeit erst mal nen Kaffee und noch ne Kippe, allen einen "guten Morgen" wünschen
G9: Mittagspause, brav "Mahlzeit" sagen, in die Kantine
G10: Feierabend, gleiche Strecke heim
G11: Mittwochs Tennis, dienstags Fitnessstudio, abends Galileo
G12: „Um 22 Uhr muss ich ins Bett, sonst komm ich morgens nicht raus“

Bitte, viele beklagen sich über die Eintönigkeit ihres Lebens, "so soll das bis zur Rente weiter gehen?". Und sind sie dann in Rente, halten sie weiter an ihren Gewohnheiten fest, "das hab ich schon immer so gemacht".


Es geht ja nicht drum, alles auf den Kopf zu stellen, 

aber kleine Abweichungen einzubauen, die einem wieder das Gefühl geben, die Kontrolle über das eigene Leben zu haben und nicht Opfer einer Gesellschaft, einer Arbeit oder von sonst wem zu sein.


 Wie wäre es, einfach mal (G1) direkt aufzustehen und statt noch 10 Minuten weiter zu schlafen, vor die Tür zu gehen und einen kräftigen Atemzug an der frischen Luft zu nehmen.
G2: Das "Brauchen" von Kaffee kann man sich (wie jede andere Sucht auch) und dem Körper abtrainieren. Bestimmte Teesorten oder ein Glas kaltes Wasser haben ebenfalls eine aufmunternde Wirkung und man hat so jeden Morgen die Entscheidungsfreiheit und kann sich nach seinen momentanen Vorlieben richten und wird die Entscheidungsfreiheit zur Gewohnheit ( ;-) ), freut man sich schon beim Aufwachen im Bett darauf, zu wählen, was man heute trinken möchte. So beginnt der Tag gleich positiv. Wer noch einen Push mehr braucht, dem kann ich die diversen Tees empfehlen, die auf dem Ziehzeit-Zettel einen kleinen motivierenden Spruch abgedruckt haben.

So lässt es sich beliebig fortführen. Keiner, außer wir selbst, zwingt uns, jeden Tag alles gleich zu machen. Wir können unsere Tage lebendiger gestalten, indem wir kleine Variationen einbauen, die das Leben lebenswert machen und uns das Gefühl von Autonomie zurück geben.

Warum fahren wir nicht einfach mal einen anderen Weg zur Arbeit (G7) (wir haben ja jetzt 10 Minuten mehr Zeit (G1)), oder begrüßen unsere  Kollegen mal mit einem "einen tollen Vormittag wünsche ich dir" (G8), oder sagen zu Mittag "guten Appetit" oder "schöne Mittagspause"(G9). Das sind alles nur Kleinigkeiten, aber sie holen uns aus der Routine und machen uns in dem Augenblick zu einem bewussten Menschen, denn wir müssen kurz nachdenken und uns für etwas entscheiden, wir bemühen unsere Kreativität, anstatt wie eine Maschine immer und immer wieder das selbe zu sagen und zu tun, ohne uns dabei selbst zu fühlen. Und das Schöne daran ist, es ist ansteckend. Kaum einer kann widerstehen, wenn er mit einem "einen sonnigen guten Vormittag, hörst du auch die Vögel zwitschern?" begrüßt wird. Eine Reaktion ist vorprogrammiert, vielleicht bekommt man ein "bei dir zwitschert es auch ordentlich im Kopf" zurück, oder das Gegenüber wird seinerseits kreativ und kontert mit einem Gruß, zumindest aber, werden die Menschen kurz stocken und aus ihrem gewohnten Ablauf herausgerissen, denn etwas ist anders. Wenn das dann noch zu einem Schmunzeln führt, ist der Tag für viele schon gleich viel besser. Und nach einer Weile hat man den Ruf weg, morgens ein fröhlicher Mensch zu sein und die Kollegen werden einen gern grüßen.


Bei einem Stundenlohn von 15€ 

verdienst Du in einer Sekunde 0,41 Cent! Also einen halben Cent aufgerundet. Ein durchschnittliches Grußwort und dessen Beantwortung dauern 2 Sekunden. Dein Arbeitgeber zahlt Dir also 1 Cent dafür, dass Du Deinem Kollegen hallo sagst. Fühlt sich komisch an, oder? Was gibt Dir ein besseres Gefühl.....1 Cent und ein brummiges, rausgerotztes "Morgn", oder 1 Cent und ein freundliches, ehrliches Lächeln als Antwort auf Deinen kreativen Gruß in der Früh?


Wenn wir nur ein wenig, aber immer wieder, an unseren Gewohnheiten drehen, werden wir zu bewussteren Menschen und uns fällt plötzlich auf, wie ferngesteuert andere wirken. Wir sollten die Möglichkeit, Entscheidungen zu treffen nutzen, anstatt zu funktionieren nach einem Plan, der sich unbemerkt eingeschlichen hat.

Kleine Änderungen im Alltag können große Reaktionen hervorrufen, neue Kontakte entstehen (weil man sich vielleicht plötzlich mit einem Kollegen unterhält, statt nur stumpf aneinander vorbei zu laufen und pflichtgemäß zu grüßen, oder weil man neuerdings die Teehandlung besucht, um sich Tees mit netten Sprüchen zu besorgen), man kann sich auf kleine Dinge freuen, wie die Auswahl des Frühstücks am Morgen, ganz nach dem aktuellen Gefühl und Geschmack, man motiviert andere mit neuen Inputs, oder man stellt plötzlich fest, dass man eigentlich noch nie wirklich Lust auf Tennis hatte, das aber eben seit der Kindheit gespielt hat, weil man es so gewohnt war.


Der Vollständigkeit halber 

hier noch die fehlenden Alternativen zum obigen Tagesablauf:
G3: Die Morgentoilette….ich gebe zu, da zu variieren wird schwierig, ich schreibe ja keinen Survivalratgeber und manche Routinen haben durchaus ihren Sinn.
G4: auch sinnvoll
G5: Die meisten Menschen halten sich jeden Nacht in ihrem Zuhause auf und haben daher einen meist gut gefüllten Kühlschrank, der Variationen im Brotbelag oder gar ein Müsli, einen Kornbrei, einen Smoothie oder Obstsalat begünstigen. Statt G11, abends Glotze zu schauen, könnte man sich auch etwas Leckeres für morgens zubereiten, auf das man sich freuen kann.
G6: Rauchen….nun ja, da muss ich wohl nicht viel zu sagen. Ich habe es selbst 10 Jahre praktiziert, aber dass ein Nervengift nicht zur Beruhigung des Nervensystems beitragen kann, sollte jedem Bürger mit IQ über 21 klar sein. Zu allen weiteren Folgen lesen Sie die Packungsbeilage (oder essen sie, auch das ist mit Sicherheit gesünder als rauchen) und fragen Sie ihren Apotheker (nicht den Arzt, denn der hat ohnehin keine Zeit mehr)
G7: Ja, also ich persönlich habe lieber die Freiheit, nach meinem Befinden zu fahren, als nach einer Gewohnheit. Manchmal will man einfach nur schnell ankommen (dann sollte man nicht die A8 fahren….wieso stehen da morgens eigentlich hunderte Autos mit jeweils EINER Person drin im Stau und kommen nicht auf die Idee, sich zusammen zu tun (also die Fahrer)? So viele unterschiedliche Musikgeschmäcker gibt es doch gar nicht, dass man sich da so sehr auf den Sack gehen könnte, dass ein gemeinsames Fahren in ein Blutgemetzel ausartet), manchmal möchte man lieber stressfreier fahren und nimmt dafür einen Umweg in Kauf. Für mich bleibt es ein Mysterium, warum Menschen immer die selben Strecken nehmen und sich so neuen Erfahrungen und Wahrnehmungen berauben. Immer die gleiche Strecke? Dann kann ich auch Bahn fahren! 
G10: Selbes Thema wie G7, mit der Möglichkeit, tatsächlich wo anders hin zu fahren, als heim. Vielleicht in die Natur zum Joggen, oder zum Bungeejumping.
G11: Der Tag hat eine gewisse Grundstruktur, wenn man in Lohn und Brot steht. Aber muss man dann die Freizeit auch noch mit Brot und Spiele verbringen? Also die freie Zeit noch zuklatschen mit Terminen, die der Ablenkung dienen, Verpflichtungen wie Gruppen und dergleichen? Wenn man wirklich (!) Spaß dabei hat und hin geht, weil man sich die ganze Woche darauf freut, klar, bitte! Aber nur aus Gewohnheit oder einem Verpflichtungsgefühl heraus? Dann bitte lieber sein lassen. Fitnessstudio…über dieses Thema könnte ich mich stundenlang auslassen. Der Mensch ist die einzige Rasse, die sich freiwillig für Käfighaltung entscheidet. Quasi die Stellplatzbevorzuger unter den Campern. Draußen scheint die Sonne und Mensch geht freiwillig in eine Betonhalle, um mit anderen dieser traurigen Art in seiner Freizeit ein weiteres Pflichtprogramm abzuarbeiten, dieses auch noch selbstständig auferlegt. Draußen ist schönes Wetter und Mensch rennt lieber auf einer Gummimatte vor seinem eigenen Leben weg, als durch einen Wald auf weichem Laub, zwischen singenden Vögeln und dem Duft von Tannennadeln. Und die Härte, Mensch zahlt sogar Geld dafür, dass er, statt die Natur zu erleben und dabei zusätzlich noch Beruhigung zu erfahren, graue Wände anschauen kann, den Geruch von 70 verschiedenen Schweißarten wahrnehmen darf und sich am Schluss noch einen Fußpilz in der Dusche als Andenken mitnehmen darf. Sicherlich gibt es Personen, für die diese Einrichtungen Sinn machen, aber für alle, die nach einem harten Arbeitstag entspannen und sich abreagieren wollen….raus mit euch, auch in der Natur gibt es Gewicht und Geräte in Form von Trimm-Dich-Pfaden!
G12: Der Biorhythmus ist etwas, dem viele nicht entfliehen können. Ist wie es ist. Geregelte Schlafenszeiten sind per se nichts Schlechtes, so lang die Möglichkeit zur Variation besteht, wenn man einen schönen Abend mit positiven Inputs erlebt. Der Gewohnheit willen dem Spaß den Rücken kehren, ist kontraproduktiv (damit meine ich nicht, jeden Abend in die Disko und bis 4 Uhr voll laufen lassen ;-) )


Ein wenig das eigene Tun hinterfragen, das man jeden Tag vollführt, ohne es bewusst so zu entscheiden, kann Wunder wirken und ganz neue Anstöße geben :) Man fühlt sich lebendiger und selbstbestimmt.


Außerdem ist das Leben so viel echter, 

denn man tut das, wonach man sich (im Kleinen) fühlt. So wird die Frage nach dem Befinden nicht mehr einfach nur mit "gut" beantwortet, sondern man macht sich Gedanken und antwortet authentisch. Auch fragt man zukünftig nicht mehr nur aus Höflichkeit, sondern tatsächlich nur, wenn es einen auch interessiert, wie es dem anderen geht, was er macht, wie der Urlaub war, oder wie es dem Kater geht. Man wird zu einem Menschen, den die lieben, die selbst authentisch sind und die hassen, die in ihren Gewohnheiten fest hängen. Vieles verändert sich, wenn man beginnt, auf sein Gefühl und seinen Körper zu hören. Vor allem aber verliert man das Gefühl, sich jeden Tag selbst zu belügen. 

Manche beenden ihre Blog-Artikel mit Namaste, ich bin kein Buddhist, aber weil mir gerade danach ist,
Namas-Tee ;-)

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